Jägerndorf ein Städtebild in Schlesien 1800-1900

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Jägerndorf hatte zu Anfang des 19. Jahrhunderts ein ganz anderes Aussehen als heutzutage. Ringsum war die Stadt von einer hohen Mauer mit runden Türmen umgeben, die von Schanzen geschützt und von außen noch mit einem tiefen, breiten Wallgraben umschlossen war. Der Wallgraben konnte in früheren Jahrhunderten beim Herannahen des Feindes unter Wasser gesetzt werden, wozu die beiden Wallteiche vor dem Obertor und dem Leobschützer Tor dienten. Diese wurden zu Anfang des 19. Jahrhunderts nur noch zur Fischzucht benützt und hatten durch ihre Ausdünstungen Krankheiten, insbesondere Fieber zur Folge.

Wollte man von Weißkirch, Lobenstein oder Türmitz aus in die Stadt gelangen, so mußte man vorerst eine schlecht gehaltene Straße zwischen niedrigen, zumeist aus Holz bestehenden Häuschen einer Vorstadt durchwandern, die sich bis an den Wallgraben hinzogen. Hier überschritt man eine steinerne Brücke und gelangte zu einem der drei Tore, über deren Bogenöffnung sich hohe Festungstürme zum Zwecke der Wachehaltung und Verteidigung erhoben.

Hatte man das äußere Tor passiert, so empfing den Eintretenden ein düsteres Halbdunkel, in dem seine Tritte auf einem gepflasterten, etwa hundert Schritte langen Gang kräftig widerhallten. Dieser führte zum inneren Tor und war an den Längsseiten von äußerst festen Steinmauern, die nach rechts und links in den tiefen Wallgraben abfielen, begrenzt und mit einem starken Gewölbe versehen; schief nach aufwärts befanden sich Luftlöcher, die den Einfall des nötigen Tageslichtes gestatteten.

Wenn man das mit einem festen Turm versehene innere Tor, das sich in den Stadtmauern befand, hinter sich hatte, betrat man die eigentliche Stadt, deren Straßen mit einem für die damalige Zeit guten Pflaster versehen waren. Zu beiden Seiten reihten sich dicht gedrängt einstöckige, aus Ziegeln und Steinen aufgeführte Häuser aneinander, von denen jene, welche die beiden Ringplätze umschlossen, an Größe und Schönheit besonders hervorragten,

Die Tore wurden um 10 Uhr abends geschlossen, und wer später in die Stadt Einlaß begehrte, mußte dem Torwächter, dessen Behausung sich am Torgang befand, ein bestimmtes Sperrgeld verabreichen, das am Troppauer Tor zur Zeit der alljährlich wiederkehrenden Königschießwoche am reichlichsten floss.

Außer den drei Haupttoren gab es noch ein Nebentor, „Pförtchen“ genannt, das sich auf der Nordseite befand und nach dem Friedhof führte.

Auch der Anblick der Stadt von der Höhe des damals noch mehr bewaldeten Burgberges war in vielfacher Beziehung ein anderer als jetzt. Wie in einem Schmuckkästchen zusammengedrängt, lagen die mit Schindeln gedeckten Häusermassen der Stadt, von steinernen Mauern gleich Armen umschlungen und von einer Lindenallee umkränzt, vor den Blicken des Beschauers. (Die Lindenallee war um 1800 vom Bürgermeister Damian Volkmann gepflanzt worden). Die vielen Kirchen- und Festungstürme gaben dem Bild ein romantisches Gepräge, und die durch das frische Grün heraufleuchtenden Wasserspiegel der Wallteiche mahnten an längst verschollene Zeiten, an die vielfachen Kämpfe, welche die Stadt in den früheren Jahrhunderten zu bestehen hatte.

In ländlicher Stille und Einfachheit lagerten sich vor dem Walle gegen das Feld hinaus die schmucklosen Häuschen der drei Vorstädte, umgeben mit einem Kranz von Gärten, in denen zur Frühlingszeit die Obstbäume in voller Blüte prangten,

Stadt und Vorstädte waren wie immer gewerbefleißig; allein damals streckten keine schlanken Fabrikschlote sich hoch in die Luft, keine dunklen Rauchwolken wälzten sich über das weite Tal, sondern nur lichter Holzrauch entschlüpfte den niederen Hauskaminen und zog gleich Wölkchen dem Winde folgend in idyllischer Ruhe über die Dachfirste dahin oder stieg, in friedlichen Säulen allmählich in höhere Luftschichten sich verlierend, aufwärts.

Wohl stehen heute noch rings die Berge wie in früherer Zeit, wohl schleichen die Gewässer der Oppa gleich Silberbändern wie ehedem durch die blühende Landschaft, allein kein Dampfross eilte pustend und mit grellem Pfiff durch die stillen Täler, .sondern nur schwere Fuhrwerke schleppten sich auf schlecht gehaltenen Wegen mühsam fort, oder es fuhren die leichten Fahrzeuge eines Fiakers, der Postkalesche, seltener einer Herrschaftskutsche die Straßen entlang. Ostwärts ruhte das Auge auf den glitzern-den Spiegeln der fürstlichen Teiche, die vom Fuße des bis knapp an die Straße bewaldeten Burgbergs nach Branitz hin sich ausdehnten und die alljährlich zur Zeit des Fischfanges nicht nur die allgegenwärtige Schuljugend, sondern auch eine schaulustige Menge Erwachsener hinauslockten, von denen -der romantisch Angehauchte seine Schritte nach dem wüsten Schloß Schellenburg) lenkte, das als Zeuge vieler Jahrhunderte von lichter Höhe auf die schilfumrankte, klare Wasserflut trauernd herniederblickte.

Und die Bewohner unserer Stadt? Sie lebten wie anderorts den althergebrachten Gewohnheiten und ererbten Vorurteilen gemäß in behaglicher Ruhe, fest glaubend, es müsse immer und ewig so bleiben. Ihr zünftiges Gewerbe betrieben sie mit fleißiger, patriarchalischer Genügsamkeit, und der Bereich ihrer irdischen Wünsche ging über den bescheidenen Anspruch, daß ihr Handwerk sie und die Ihrigen ernähre, nicht hinaus. Ihr geistiger Gesichtskreis war eng umfriedet wie die Stadt von ihren Mauern, und da die Regierung ängstlich darob wachte, das österreichische Bürgertum in allseitiger Abgeschlossenheit von anderen Staaten zu erhalten, so vernahm dieses nicht den Frühlingshauch der neuen Zeit, der von Frankreich, England und den großen deutschen Dichtern und Denkern zu uns herüberwehte; so kam es ihm nicht zum Bewußtsein, daß der erbitterte Kampf gegen die Beschränktheit des Pfahlbürgertums, der anderwärts bereits losgebrochen, auch hier sich vorbereitete, um auf den Trümmern des Althergebrachten andere Anschauungen, andere Lebens- und Gewerbeverhältnisse entsprechend den großen Errungenschaften des menschlichen Geistes zu begründen. Und als der Schlachtruf ertönte, da sah man den verblüfften Bürger, die Zeitströmung total verkennend und von Metternichschen Ideen verzopft, in einen erbitterten Kampf gegen alle Neuerungen auf geistigem und volkswirtschaftlichem Gebiet treten. Mit einer der Gegenwart unerklärlichen Verblendung wurde im eigenen Fleisch so lange gewühlt, bis auf dem Ruin städtischen Wohlstandes und gewerblicher Tätigkeit die bessere Einsicht sich Bahn brach und man sich mit den Schreckensgespenstern der Neuzeit, den Maschinen, der Dampfkraft und den freiheitlichen Staatsideen auszusöhnen begann. Diese Tatsache, die sich in Jägerndorf in den vierziger Jahren vollzog, bedeutete einen Aufschwung des Gewerbes und damit gleichzeitig auch einen Aufschwung auf allen anderen Gebieten städtischen Lebens. Im Jahre 1841 wurde die erste Tuchfabrik mit Wasserbetrieb in Weißkirch errichtet, der fast gleichzeitig jene der Weidenmühle folgte; und als im Jahre 1862 die bis Leobschütz vorgerückten Schienenwege es möglich machten, die Kohle billiger als bisher zu beziehen, da schritt man an die Aufstellung der ersten Dampfmaschinen. Auch war es für die Industrie von Vorteil, als einzelne Firmen, zuerst Eduard Förster, von der Erzeugung nur einfärbiger glatter Ware abgingen und die Anfertigung gemusteter Stoffe einführten, wodurch den hiesigen Erzeugnissen die Alpenländer als Absatzgebiet erschlossen wurden. Trotz wiederholter, teils durch Geschäftskrisen, teils durch Kriegsereignisse der Jahre 1859 und 1866 eingetretenen Geschäftsstockungen ging die Entwicklung der Tucherzeugung, gefördert durch richtiges Verständnis und rührigen Fleiß der Erzeuger sowie durch die besonders günstige Lage der Stadt rasch vor sich. Ein besonderer Fortschritt war in dem Jahr 1867 zu verzeichnen, der durch die im Jahr 1872 erfolgte Einbeziehung der Stadt in die Schienenwege der Mähr.Schlesischen Zentralbahn noch bedeutend gesteigert wurde.

Ungünstige Zollverhältnisse jedoch waren insbesondere in den Jahren zwischen 1873 und 1880 dem weiteren Fortschritt ungemein abträglich, und es bedurfte des größten Fleißes und der .angestrengtesten Tätigkeit. um der ausländischen Konkurrenz mit Erfolg begegnen zu können. Seit 1880 aber ist wieder ein erfreulicher Aufschwung zu verzeichnen, der wohltätige Folgen auf allen Gebieten des Gemeinwesens nach sieh zog.

Und sieh heute hinunter ins Tal! Wie hat sich seitdem das Antlitz diesel Stadt verändern Du suchst umsonst nach den Ringmauern und ihren Wart- türmen und lugst vergebens nach dem Wallgrahen aus Sie, die einst in ihrer ungebrochenen Macht die dahingegangenen Geschlechter vor Feindesüberfall beschirmte, hat in ihrem morschen Alter das jüngste Geschlecht der Erde gleich gemacht, um mit dem Drange der neuen Zeit den Bann der alten zu zersprengen und sich auszudehnen nach dem neuen Brennpunkt, dem des Verkehrs. Sturm- schnell brausen die Oppatäler entlang die ehernen Dampfrosse und führen mit Geschnaube und Gewieher die blinkenden Wagenzüge ins vielästigc Schienennetz des weitgedehnten Bahnhofs und von Nordosten her qualmt wieder ein Zug, rußig schwarz, herein; er führt aus dem grubenreichen Preußisch-Schlesien in die Täler des Gesenkes des Zuggauls eigene Speise, das Brot des neuen Fürsten unserer Zeit, das schwarze Mark der Unterwelt die Kohle; durch diese und das Schienennetz begünstigt, hat in der Stadt und den Vorstädten der Dampf, dieser weltbeherrschende Emporkömmling, in zahlreichen Schlöten sein Lager aufgeschlagen, und es hält hier geräuschvoll sausenden Hof sein geldgieriges, stolzes Weib die Industrie.

Autor: JP

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Fußnoten

 

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