Sagen und Märchen aus Schlesien

Eine Gespenstergeschichte aus Bennisch


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Die nachstehende Geschichte, die die Freunde der Heimatkunde sicherlich interessieren wird, die aber auch einen nicht ganz unbedeutenden Beitrag zur Kulturgeschichte des ausgehenden 16. Jahrhunderts. darstellt, hat zum leidenden Helden den Bennischer (in alter Schreibweise Bendschiner) Bürger Johann Kunze der aus Lichten stammte, sich in Bennisch niederließ, zuerst als Schindelmacher und sodann als Fuhrmann und Frächter sich ein beträchtliches. Vermögen erwarb, schließlich Ratsherr, ja sogar Bürgermeister wurde, bisweilen ein gastliebes Haus führte, ohne jedoch selbst viel Gefallen daran zu finden, und am 7.. Februar 1592 zeitig morgens im 60. Lebensjahr starb Er war wie alle Bürger von Bennisch evangelisch. Sein Ableben und die diesem folgenden Ereignisse sind uns in zwei Darstellungen überliefert. Die eine ist der Bericht, den der Geschichtsschreiber Schlesiens, Nikolaus Henelius von Hennenfeld, kaiserlicher Rat, Münsterbergischer Kanzler und Syndikus in Breslau, in seiner „Silesiographia renovata“ im Jahre 1704 (VII, Kapitel, § 8) auf Grund der Aufzeichnungen seines Freundes, des Breslauers Martin Weinrich, gab und der von Dr. Herrmann Krommer im Nordmark-Kalender 1902, 5. 100—109, veröffentlicht wurde. Die zweite Mitteilung befindet sich im ersten Band der „Denkwür.digsten Tage Schlesiens“, Glatz 1802, 5. 168-174, wurde von Johann Spatzier im 26, Band seiner Urkundensammlung unter Nr. 33 abgeschrieben und lautet wie folgt:

Den 6ten Februar 1592 wurde der Burgermeister zu Bendschin, Johann Kunze, von seinem Pferde in den Unterleib geschlagen, daß er davon nach wenigen Stunden den Geist aufgab. Ob er zwar auf seinem Sterbebette große Beängstigungen über seine Sünden hatte, so rief man doch den Geistlichen nicht früh genug herbei, um ihn darüber zu beruhigen, und Kunze starb, bevor der Pfarrer kam. Er hatte ein beträchtliches Vermögen zusammen gebracht, und niemand wußte, wie er dazu gekommen war. Bey seinem Abscheiden begaben sich wunderliche und bedenkliche Zeichen. Kaum war er verschieden, so wirbelte ein großer schwarzer Kater mit der Pfote das zugemachte Fenster auf, sprang der Leiche wüthend aufs. Gesicht und verschwand. Ferner entstand ein gewaltiger Sturm mit Schneegestöber, welcher so lange anhielt, bis der Burgermeister standesgemäß in der Kirche beym Altar beygesetzt war, worauf sich alsbald das Wetter ausklärte. Bey Lebzeiten hatte er kein Kind betrübt, und der Pfarrer des Orts wußte en ihm weiter nichts zu tadeln, als daß er manchmal unter der Predigt im Ratsstuhl eingeschlafen wäre. Um desto mehr rumorte es aber nach seinem Tode, wofür er aber auch Exemplarisch bestraft wurde. Und eben diese Strafe ist das merkwürdigste bei der Geschichte.

Wenige Tage nach seinem Tode verbreitete sieh das Gerücht: Kunz komme wieder. Die Nachtwächter redeten aus, man höre alle Nächte ein Schreckliches Poltern, Werfen und Fallen in des Bürgermeisters Hause; die Haustüre stehe alle Morgen offen, ob sie schon Abends verschlossen und verriegelt werde. Die Pferde im Stalle trampelten und schlügen fürchterlich und alle Hunde in der Stadt machten ein erbärmliches Gehäule. Doch nahm der wohlweise Magistrat von diesem Gemunkele zu Ehren seines Vorsitzers und Collegens noch keine Notiz. Eine Magd erzählte, sie wäre des Nachts dadurch aus dem Schlafe geschreckt worden, daß jemand an das Haus geritten wäre und fürchterlich angeschlagen hätte. Vor Angst sei sie unter das Bette gekrochen. Da man beym Aufstehen nachsah, so fand man in dem frischgefallenen Schnee solche Fußstapfen, die weder Menschen- noch Thierfüssen ähnlich sahen. Den 24ten Februar versicherte der kranke Stadtschreiber dem Pfarrer, welcher ihn besuchte, Kunz sey ihm die vergangene Nacht um 11 Uhr erschienen und habe ihn angeredet: „Fürchtet euch nicht vor mix, lieber Gevatter, ich werde euch nichts böses thun, sondern komme nur, mit euch etwas obzureden. Ich habe nach meinem Tode meinen jüngten Sohn Jacob hinterlassen, den Ihr mir aus der Taufe gehoben. Nun hat mein ältester Sohn Stephan eine Kiste von mir bey sich mit 450 fl., das zeige ich euch hiemit an, damit mein jüngster Sohn nicht um seinen Antheil betrogen werde. Ich trage euch auf, für ihn treulich zu sorgen: unterlaßt ihr solches, so mögt ihr sehen was euch begegnen wird. Damit veschwand das Gespenst und fing im oberen Stock ein schreckliches Lärmen an, von wo es sich in den Kuhstall begab und einen Tanz mit den Kühen machte, weIche aber am Morgen in ruhiger Ordnung angebunden standen.

In des Bürgermeisters eigenem Hause riß es nun vollends ins Ganze, Am schlimmsten hatten es die armen Pferde, deren er fünfe hinterließ, besonders dasjenige, welches ihn geschlagen hatte. Es schwitzte kalten Schweiß und zitterte unablässig, so daß es der Henker abstechen mußte. Auch seine eigene Wittwe plagte der Geist fürchterlich. Sie hielt Wächter im Hause und ließ eine Magd neben sich im Bett schlafen. Er jagte die Magd heraus und liebkosete seine Frau, aus den Milchtöpfen soff er die Milch und reinigte zur schuldigen Danksagung die Gefäße.

Das alles würde dem Gespenste vielleicht noch hingegangen seyn, aber zuletzt blieb fast kein Ort in der Stadt und kein Mensch übrig, wo und mit welchem es nicht Unfug getrieben hätte. Am Altartuche in der Kirche machte es große Blutflecke, der Leichenstein war sonderbar bekleckt, und der Taufstein nicht minder. Mit einem durchreisenden Juden trieb es lächerliche Possen im Wirtshause; einem Fuhrmann im Stalle spie es Feuerflammen auf die Füsse, einen Schläfer in der Kirche weckte es gräßlich aus dem Schlafe und den Pfarrer und sein Hausgesinde verfolgte es allenthalben. Bald machte es in seinem Hause einen abscheulichen Gestank, bald einen erstickenden Dampf, wovon ihm das ganze Gesichte anschwoll. Die Hunde warf er auf die Erde, den Kühen saugte er die Milch aus!, und drehte ihnen die Schwänze zusammen; er fraß die Küchlein und legte die Ziegen mit gebundenen Füssen in die Krippen.

Durch dieses Unwesen wurde Bendschin so berüchtigt, daß kein Durchreisender mehr daselbst übernachten wollte, und die Einwohner befürchten mußten, nahrlos zu werden. Die Bürgerschaft wußte sich nicht anders zu helfen, als daß sie das desparate Mittel ergriff, mehrere Gräber zu öffnen und die Leichen zu besichtigen, um eine Spur zu finden, woraus sich ergeben würde, ob sie als ehrilche Christen gestorben oder mit dem Satan im Bunde gewesen, und in einer Tod-Sünde dahingeschieden wären. Dar Pfarrer protestierte, verweigerte die Kirchenschlüssel und stellte gründliche phisikalische und theologische Bedenken über ihr gefährliches Vorhaben aus; aber die Bendschiner, welche das Feuer auf die Nägel brannte, kehrten sich nicht daran, und wollten ein für allemal mit der Spukgeschichte ins Reine kommen.

Die Kirche mußte eröffnet, der Grabstein weggehoben, der Körper herausgenommen und zu desto rechtlicher Erkenntniß mit mehreren ausgescharrten Leichen confrontiert werden. Da kam man nun der Sache auf den Grund Alle übrigen Leichen waren schon theils ganz verweset oder standen in völliger Fäulniß.. Nur Kunzens Leichnam war unversehrt, frisch und ganz; alle Gelenke waren biegsam und alle Glieder beweglich. Man gab ihm zur Probe einen Stab in die rechte Hand, welchen er ergriff und mit den Fingern festhielt. Die Augen schlug er auf und wieder zu, und drehte das Gesicht bald hier bald dorthin. Von einem Messerschnitte in die Wade lief das schönste rote Blut heraus, wie bey einem lebendigen Menschen, die Nase war ganz unbeschädigt und nicht eingeschrumpft — Im Leben war er klein und hager von Person gewesen; jetzt aber war die Leiche viel stärker, das Gesicht aufgelaufen und alles verdunsen, so daß der Körper kaum mehr Raum im Sarge hatte, in welchem er vom 8ten Februar bis 20ten Julius gelegen hatte.

Vor zweihundert Jahren war das Beweises genug, und es war nur noch die Frage: wie man den Bürgermeister nun bestrafen sollte? Von höherer Instanz kam auf gethane Anfrage die ‘Antwort: sich in der Sache nicht übereilen, sondern erst weitern Rat und Kundschaft einzuzihen. Aber die Bendschiner waren zu sehr erbittest und hatten der nächtlichen Spukerey zu satt, um die Exekution des todten Burgermeisters der seines Verbrechens nach Ihrer Überzeugung hinlänglich überwiesen war, noch länger aufzuschieben. Er wurde allgemein zum Feuer verdammt.

Um ihn nicht wie ehrliche Christen-Menschen zur Kirchthüre aus paßieren zu lassen, machten sie ein Loch in die Mauer beim Altar, und zogen ihn mit einem Stricke zu demselben heraus. Der Körper war so schwer, daß die Stränge darüber zerrissen, und man Ihn kaum von der Stelle bringen konnte. Nun ward er auf den Schinderkarren, für welchen Kunzes Leibpferd gespannt war, gezogen. Das Pferd konnte ihn kaum von der Stelle schleppen und mußte Unabllässig mit Schlägen angetrieben werden, so schwer war er!

Ein Scheiterhaufen von 216 großen Brau-Scheiten mit Stroh und fleißig vermischt, war kaum fähig, den Leichnam zu verzehren. Es brannte anfangs, so stark auch die Flamme war, nur der Kopf, Hände und Füße weg, der Rumpf blieb unversehrt, Da ihn aber die Henker mit Feuerhacken in die größere Glut zogen und ihn in Stücke hackten, so ward ec doch, obwohl schon unablässig entsetzlich viel Blut ausspuitzte, endlich von der Flamme verzehrt. Die Bendschiner streuten die Asche in das nächste fließende Wasser, und so gelang es ihnen, sich Ruhe zu verschaffen, denn von Stund an hatten alle Spukereyen ein Ende.

Der eben mitgeteilte Bericht ist viel kürzer gefaßt, als die erstgenannte Erzählung und geht offenbar zum großen Teil auf sie zurück, enthält aber, doch eine Reihe von Einzelheiten, die in der Silesiographia fehlen, so vor allem den Bericht von den Gewissensqualen des armen Kunze auf seinem Sterbebette und von der Tatsache, daß er ohne geistlichen Zuspruch, unversöhnl, mit Gott dahinscheiden mußte, ferner die Erzählungen von dem Erlebnisse seiner Dienstmagd, bald nach seinem Tode und von dem merkwürdigen Verhalten, seines Leibrosses nach dem Dahinscheiden des Ratsherrn. Wir müssen daher wohl annehmen, daß dem unbekannten Verfasser des Aufsatzes noch eine von Henelius unabhängige Quelle vorlag, die seither verloren gegangen ist, und da gerade der in den „denkwürdigs‘ten Tagen“ wiedergegebene Bericht von den letzten Stunden Kunzes und von seiner Gewissensangst uns den Schlüssel zum Verständnis der folgenden Ereignisse gibt, ist hier diese Darstellung und nicht die in der Silesiographia enthaltene wiedergegeben, obwohl zweifellos die letztere im allgemeinen viel eingehender ist.

Wir müssen uns nun darüber Rechenschaft geben, wie denn eigentlich die ganze Spukgeschichte in den Köpfen der Bennischer vom Jahre 1592 entstanden ist. Wir wollen da von der Tatsache ausgehen, daß Kunze in Gewissensqualen ohne geistlichen Trost sein Leben aufgeben mußte. Man erwartete daher in seinen Bekanntenkreisen, daß er die ewige Ruhe nicht finden könne, daß er nach seinem Tode als Geist umgehen werde. Auf dem Wege der Suggestion Würde diese Überzeugung bald allgemein, und da sich seine Frau einer Bemerkung ihres Gatten erinnerte, die uns als trübe Ahnung seines Schicksals eirscheint, von den aufgeregten Mitbürgern des Verstorbenen aber als Beweis einer übernatürlichen Fähigkeit gebucht wurde, so war die Vorstellung einer Verbindung Kunzes mit dem Teufel gegeben. Einige zufällige Vorkommnisse wie das Erscheinen und Verhalten der schwarzen Katze im Sterbezlmmer und das Unwetter beim Leichenbegängnis, mögen dann in VerbIndung mit dem Umstande, daß niemand recht wußte, wie dar Ratsherr zu seinem Vermögen gekommen war, den Glauben an einen Bund desselben mit dem Höllenfürsten genährt haben. Auf Grund der Vorstellungen, die man sich damals allgemein von den Kennzeichen der Hexen und der vom Teufel Bessener machte, erwartete jedermann mit fieberhafter Ungeduld das Eintreten der Merkmale des Höllenbundes und glaubte, sie auch wirklich zu erleben mit Hilfe von Halluzinationen, die auf Grund eines Massenpsychose zustande kamen. Deshalb folgten auch die einzelnen Erscheinungen wie die Nummern eines Programms. Sobald man dann die Leiche des Teufelknechts aus dem geweihten Boden gehoben und sie den Weg der Vernichtung durch das Feuer hatte gehen lassen, also ihr wenigstens nachträglich das Los des Behexten bereitend, da legte sich der wilde Fieberparoxysrius der Bennischer wieder, nun mehr völlig befriedigt und daher hörten auch die Erscheinungen auf. Aber die Erinnerung an sie wurde festgehalten, die Spukgeschichte verbreitete sich auch über die Grenzen der engeren Heimat hinaus, sie fand sogar als Schulbeispiel für Teufelskunst und Hexerei Eingang in das gelehrte Weltschrifttum, Am stärksten blieb natürlich die Erinnerung an den merkwürdigen Vorfall in der Heimat. Sogar In neuerer Zeit erzählte man sich in Bennisch selbst von dem Hexenmeister Kunze und seinen Streichen, etwa wie er mit seinem dreibeinigen Schimmel  Fuhrleuten, die mit ihren schwerbeladenen Wagen auf steiler Straße nicht weiter konnten, zu Hilfe gekommen sei, oder von, seinem eigenen Leichenbegängnisse, wie er auf dem Dache seines Hauses reitend, zugeschen und höhnisch gefragt habe: „Wan begrobt ‘r ‘n do“ Sein Wohnhaus aber, das sich in der Bahnhofstraße dem jetzigen Bennischer Rathaus schief gegenüher befindet, wird heute noch dem Fremden gezeigt.

Autor: EK

 

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